2021 – das Jahr in dem Robo Advice endgültig erwachsen wird.
Christian Paulus / 15. Dezember 2020
Eine Einschätzung von Friedhelm A. Schmitt
2020 wird ohne Frage als ein außergewöhnliches Jahr in die Geschichtsbücher eingehen. Die Corona Pandemie hat weltweit zu Verwerfungen, Umwälzungen aber auch Beschleunigungen geführt, die – wie immer bei disruptiven Ereignissen – so vor einigen Monaten noch nicht absehbar waren. Doch was bedeutet all dieses für das Fintech Jahr 2021? Darüber haben wir mit unserem Gründer und Co-CEO Friedhelm A. Schmitt gesprochen.
Friedhelm, was war deiner Meinung nach, die bedeutendste Veränderung in 2020?
Corona hat vieles verändert. Was ich persönlich aber am tiefgreifendsten empfinde ist, dass persönlicher und direkter menschlicher Kontakt, der immer als etwas positives angesehen wurde, plötzlich ein Risiko darstellt. Als Resultat hat die Adaption von Videokonferenzen ein Ausmaß erreicht, welches bei einer linearen Entwicklung Jahre gebraucht hätte. Diese Adaption eröffnet komplett neue Einsatzmöglichkeiten in der hybriden Finanzberatung. Es muss zukünftig nicht der Espresso in der Bank sein, um über Finanzen zu reden – es geht auch mit einem Tee auf dem heimischen Sofa. Wir gehen davon aus, dass der Einsatz von Videokonferenz Software im Beratungsprozess in Zukunft verstärkt nachgefragt wird..
Und was bedeutet dies vor allem für die klassische Finanzberatung? Wie werden sich hier die Aufgaben und Rollenbilder verändern?
Dies wird sich deutlich auf die Arbeitsrealität von Vermögensberater/innen auswirken. Wenn die Beratung Teil einer digitalen Experience ist, wird Finanzexpertise im Schnitt häufiger und auch deutlich spitzer und individueller nachgefragt. Gleichzeitig wir eine Beratung somit auch deutlich anspruchsvoller. Von anderen Apps im Bereich Fitness, Mindfullness oder Ernährung ist der Kunde bereits seit Jahren gewohnt einen Berater an der Seite zu haben, der die Kundenziele zu den eigenen macht und in Co-Kreation mit dem Kunden diese Ziele bis zur Erreichung begleitet. Diese Art der finanziellen Gefährtenschaft ist etwas was Kunden zukünftig erwarten werden und auch erwarten dürfen. Zur Kommunikation mit dem „Finanz-Gefährten“ werden dabei selbstverständliche alle verfügbaren Kommunikationskanäle genutzt. Technologie an der Schnittstelle macht es möglich, dass der Berater immer individuelle Fragen beantworten und Informationen liefern kann.
Also ein Schritt weg vom klassischen Robo Advice, bei dem keine menschliche Interaktion mehr stattfindet?
Es führt unweigerlich dazu, dass Robo Advice wieder zu Financial Advice wird. Was erstmal weniger kompliziert klingt als es in Wirklichkeit ist. Robo Advice funktioniert nämlich regulatorisch als Vermögensverwaltung bzw. in selteneren Fällen als Anlagevermittlung. Anlageberatung ist im Vergleich dazu deutlich herausfordernder – besonders wenn das noch digital abgebildet werden soll. Dem Kunden sind diese regulatorischen Unterscheidungen aber egal. Wenn die eigenen Präferenzen oder Restriktionen in der Geldanlage nicht reflektiert werden, ist dies den Kunden auf Dauer nicht vermittelbar. Der große Erfolg der Neobroker und die Renaissance der Onlinebroker zeigt, dass Kunden durchaus eine eigene Meinung bei der Geldanlage haben und diese auch bereit sind in Orders umzusetzen.
Und darüber hinaus, wie wird sich dieser Wandel bei Kunden und Vermögensverwalter verdeutlichen?
Zum einen führt es das dazu, dass die Grenzen zwischen den regulatorischen Servicemodellen (Vermittlung, Beratung, Verwaltung) verschwimmen, zum anderen werden Kunden immer häufiger persönliche Präferenzen im Portfolio berücksichtigt wissen. Allen voran Nachhaltigkeit.
Deine Einschätzung zu 2021, was werden die großen Themen sein für die klassische Vermögensberatung?
Je individueller sich die Geldanlage für den Kunden anfühlt desto höher wird sich die Bindung zum Thema Finanzen entwickeln. Und das ist auch dringend notwendig. Finanzielles Unwohlsein ist eines der weltweit größten Dämpfer für Lebensqualität. Selbst die Manifestation von finanziellem Unwohlsein in körperliche Beschwerden ist eher die Norm als die Ausnahme. Der breiten Masse an Menschen zu finanziellem Wohlbefinden zu verhelfen wird eine der großen Aufgaben an der sich die Finanzindustrie – neben der Nachhaltigkeit – zukünftig wird messen lassen. 2021 könnte hierfür der Startpunkt sein.